13 Oct 2016

Column: You Must




Ich muss nachher noch eine Seite schreiben. Wir müssen einkaufen gehen. Du musst dich mal wieder bei deiner Oma melden. Ich muss in die Arbeit gehen. Du musst morgen die Wäsche waschen. Du musst dich um das Busticket kümmern. Ich muss mich auf eine neue Stelle bewerben. Ich muss das Bett beziehen. Du musst dir das neue Album anhören. Ihr müsst mal wieder mit feiern gehen. Wir müssen um vier Uhr losfahren.

Ich fühle mich im Moment unter Druck gesetzt - von mir selbst und von meinem Umfeld. Ich muss so viel. Dabei will ich vieles gar nicht. Ich habe manchmal einfach keine Lust. Und dabei meint mein Umfeld es (meistens) gar nicht böse. Ich werde von meinen Freunden ermutigt das zu tun, wofür man mich kennt, oder neue Dinge auszuprobieren. Ich motiviere mich selbst über meinen Horizont hinauszuschauen oder normale Alltagsdinge zu meistern. Doch durch dieses kleine Wort müssen werde ich unter Druck gesetzt. Ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen.

Dabei ist müssen ein modales Hilfsverb - es hilft mir aber nicht. Es schränkt mich ein und ich fühle mich gezwungen und verpflichtet. Natürlich habe ich nicht immer Lust darauf, meine Wäsche zu machen oder das Bett neu zu beziehen, aber wieso sollte ich mich durch meine Wortwahl noch mehr unter Druck setzen? 

Müssen bedeutet, dass etwas notwendig ist, bzw. jemand zu etwas verpflichtet ist. Dabei kommt unser heutiges müssen auch aus dem Gotischen ga-motan was soviel wie "Raum finden, Erlaubnis haben" bedeutet. Allerdings habe ich das Gefühl, dass mir müssen sofort allen Handlungsspielraum nimmt. 

Versuche einmal darauf zu achten, wie oft du etwas musst. Und dann formuliere deinen Satz um. Du wirst sofort einen Unterschied spüren. Und wenn du keine Lust auf bestimmte Dinge hast, dann ist dieses Gefühl vollkommen in Ordnung. Manche Dinge sind trotzdem zu erledigen, auch wenn du sie nicht magst. Dann denke aber daran, dass dieses Gefühl des nicht wollens in Ordnung ist und mach es trotzdem. Nur zwinge dich nicht nochmehr und verschmlimmere deine Unlust durch müssen.

Ich schreibe nachher noch eine Seite. Die Milch ist leer, können wir nachher neue Milch kaufen? Oma freut sich über deinen Anruf. Ich gehe arbeiten. Wäscht du morgen bitte die Wäsche? Du brauchst noch ein Busticket. Ich möchte mich auf eine neue Stelle bewerben. Ich beziehe nachher das Bett neu. Ich kann dir das neue Album empfehlen. Ich freue mich sehr, wenn ihr mit uns feiern geht. Wir fahren um vier Uhr los. 

JB

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